Aus seinem Liebling, seinem selbst erwählten angeblichen Familienmitglied, einen reinen Befehlsempfänger machen, der sich selbstständig höchstens noch das Atmen traut und einen ansonsten permanent anstarrt, weil er auf Erlaubnis oder Verbot wartet – wer will denn sowas? Natürlich nur Menschen, die sich insgeheim einen Hund angeschafft haben, um sich über ihn zu erheben. Die Erziehung dient ihrem Ego, dem Aufbau ihres mickrigen Selbstbewusstseins. Und dafür wird das arme Tier jeder Freiheit beraubt.
Ja, diese Meinung über Sinn und Zweck von Hundeerziehung gibt es. Nicht weniger Menschen begründen ihre Verweigerung von Erziehung damit, dass sie den Hund als echten Freund oder echtes Familienmitglied sehen, dass sie seine Freiheit respektieren und seinen Charakter nicht verfälschen wollen.
Und irgendwie klingt „Erziehung“ ja auch nach „zurecht ziehen“ und wenn wir die Begriffe Dominanz und Alphatier bedenken, so wie den grundlegenden Erziehungsansatz schlechthin „Du musst ihm zeigen, wer das Sagen hat!“, ja dann tut sich in jedem, der seinen Hund liebt, viel Widerstand auf. Und das zu Recht! Deshalb sind moderne Ansätze auch zunehmend „Training“ statt „Erziehung“ und der eben erwähnte Rest ist veralteter und längst überholter Quatsch.
Wer also eine derart schlechte Meinung von Hundeerziehung hat, wer dabei an Gewalt am Tier, an Raub der Persönlichkeit und völlige Entmündigung zum Zweck des menschlichen Egos denkt, der richtet seinen Blick in die dunkle Vergangenheit der Hundeerziehung. Leider sind die Erziehungsverweigerer damit aber nicht allein und die alten Methoden noch nicht komplett ausgestorben. Das ist ein sehr großes Leider, weil es nicht nur den Erziehungsverweigerern scheinbar recht gibt, sondern Hundeleid erzeugt und am eigentlichen Ziel der Erziehung vorbei trainiert. Aber was ist das eigentlich, dieses Ziel der Erziehung? Also wozu überhaupt Hundeerziehung?
Was ist Hundeerziehung?
Das „Wozu“ hängt eng damit zusammen, als „was“ wir Hundeerziehung verstehen. Es als Training zu bezeichnen zeigt schon einmal, dass da ein anderer Gedanke dahinter steckt als „zurecht zu ziehen“. Trainieren heißt üben und genau das wird beim Hundetraining gemacht: Dem Hund werden neue Dinge beigebracht und dann durch regelmäßiges Üben verfestigt. Und bereits seit Jahrzehnten ist bekannt, dass dies ohne Gewalt und durch positive Verstärkung funktioniert. Ohne Gewalt bedeutet ohne Schmerzen und ohne mit negativen Emotionen beladenes Niedermachen. Es bedeutet aber nicht ohne Maßregeln. Wie richtig gemaßregelt wird, zeigen Hunde am besten untereinander. Wird das Nein eines souveränen, gut sozialisierten Hundes von Artgenossen ignoriert (bei besonders geduldigen Exemplaren wiederholt), dann reagiert er irgendwann mit einer kurzen, heftig erscheinenden Maßregelung, die den anderen Hund nicht verletzt, aber kurz erschreckt und damit deutlich macht: „Doch, ich meine mein Nein ernst!“ Im Anschluss zeigt der Hund keine Wut. Wird sein Nein nach der Maßregelung respektiert, ist zwischen den Hunden alles in Ordnung. Der souveräne Hund schimpft und zetert also nicht noch ewig mit dem anderen und schon gar nicht diskutieren souveräne Hunde.
Genau so „ernst gemeint“, aber frei von schmerzhafter Gewalt und nachtragender Wut sollten auch die vom Menschen ausgehenden Maßregelungen sein. Ob ignorieren und abwarten, ein verbales „Nein“, ein Antippen mit den Fingerspitzen an der Schulter oder erst ein (natürlich nicht zu fester) Knuff in die Seite reichen, hängt vor allem davon ab, wie sensibel und aufgeregt der Hund ist. Lieber vorsichtig herantasten, was funktioniert, als ein Mal zu heftig Maßregeln! Gleiches gilt bei der positiven Verstärkung: Das Maß und die Art des Lobs hängen davon ab, wie gut der Hund darauf reagiert.
Es gibt heutzutage verschiedene Methoden und Ansätze und jeder Hundetrainer sowie jede Hundetrainerin macht etwas anders als alle anderen. Gute Trainer und Trainerinnen sowie Halter und Halterinnen bleiben jedoch neuen Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung, der Kynologie und der eigenen Beobachtung gegenüber offen.
Modernes Hundetraining stellt immer die Bedürfnisse des Hundes in den Mittelpunkt, sieht ihn als Individuum und passt die Trainingsmethode an ihn an. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Beziehung zwischen Hund und Mensch, die eben nicht aus Dominanz und Erniedrigung, sondern aus einem Miteinander bestehen soll.
Dennoch: Ja, auch die dem Hund gegenüber wohlwollendste Trainingsphilosophie hat am Ende das Ziel, dass der Hund für den Menschen kontrollierbar ist. Dabei geht es aber nicht um das menschliche Ego. Die Kontrollierbarkeit des Hundes ist eine Notwendigkeit. Das „Warum“ steht im Nachfolgenden.
Verantwortung und Sicherheit
Der domestizierte Hund stammt zwar vom Wolf ab (mehr dazu hier), ist aber kein Wolf, sondern ein Tier, das es nicht von Natur aus gibt. Der Hund ist ein von uns Menschen entwickeltes Wesen und steht irgendwie immer zwischen animalisch und human, zwischen wild und häuslich. Er ist ein unglaublich soziales, kommunikatives und kooperatives Raubtier, welches in unserer Menschenwelt leben, funktionieren und zurechtkommen muss.
Wir wissen ja, dass unsere Hunde nicht wirklich unser Nachwuchs sind und ihr Wohlergehen nicht dem Fortbestand unserer Spezies dient. Aber weder unser Instinkt noch der des Hundes bekommt das so auseinanderklamüsert. Worauf ich hinaus will: Sowohl wir als auch unsere Hunde sehen unsere Gemeinschaften als familiäre Sozialgefüge und wir wollen gegenseitig, dass es uns gut geht. Dazu gehört es, die Beziehungen untereinander zu pflegen, also sich gegenseitig Aufmerksamkeit zu schenken und Dinge gemeinsam zu machen. Dazu gehört ebenfalls, Gefahren zu erkennen und abzuwehren.
Wolfsrudel sind in der Regel übrigens Familien. Das Sagen haben die Elterntiere. Sie bringen ihrem Nachwuchs alles bei und werden genau wie wir Menschen erst in der Pubertät von ihren Kindern infrage gestellt. Anschließend heißt es erwachsen werden und auf sich selbst aufpassen. Es ist also erst einmal jemand da, der die ganze Verantwortung trägt und einen beschützt. Dann wird ausgetestet, ob man das nicht selbst mindestens genau so gut kann und schließlich übernimmt man die Verantwortung für sich selbst und später für seine selbst-gegründete Familie.
Ich erzähle das, damit wir die Funktions- und Denkweise unserer Hunde besser verstehen. Wir haben mit unseren Hunden keine eindeutige Eltern-Kind-Beziehung (nein, wirklich nicht!) und der erwachsene Hund zieht auch nicht in die Welt hinaus, sondern bleibt bei uns. Er soll also gar nicht erwachsen werden, sondern uns gegenüber in der Kind-Rolle bleiben. Nun ist er aber weder unser Kind noch überhaupt ein Kind. Wir verbleiben also gemeinsam im familiären Sozialgefüge, die Frage nach dem Verantwortlichen ist aber nicht von Natur aus beantwortet. Eines ist aber klar: In einer Gruppe wie einer Familie muss es mindestens einen geben, der erfahrener und weiser als alle anderen die (wohlwollende!) Verantwortung für alle übernimmt. Der Hund ist als Tier seinen Instinkten näher als wir Menschen, für ihn ist diese Notwendigkeit ein dringendes Bedürfnis. Der Verantwortliche oder auch der Entscheidungsträger ist aber nicht automatisch der körperlich Stärkste oder der Älteste, sondern der Klügste und mental Stabilste. Und so nebenbei: Er muss keinen Penis haben.
Die Frage, wer das nun ist, muss aus Hundesicht geklärt werden. Dass wir die Menschen sind, reicht dafür keineswegs aus. Dass wir arbeiten und das Geld für Haus und Essen verdienen, weiß der Hund nicht. Ob wir geeignet sind, die Verantwortung zu tragen, testet er deshalb jeden einzelnen Tag aus. Und das ist der Punkt, wo der Begriff der Konsequenz eine Rolle spielt. Das ist nämlich keine böse Erziehungsvokabel sondern meint nur, dass wir konsequent, also immer und immer wieder, darauf bestehen, dass wir die Entscheidungsträger sind. Wir müssen unseren Hunden beweisen (!), dass wir klug, mental stabil und verantwortungsbewusst genug sind, um auf ihn und uns selbst aufzupassen. Heißt: Wir müssen uns sein Vertrauen in uns erarbeiten. Und das erreichen wir durch das Miteinander im Alltag und das Training.
Wenn wir das nicht tun, übernimmt der Hund die Verantwortung, weil: Einer muss es ja machen! Die Folge sind meist gestresste, überforderte Hunde, die irgendwann mit Aggression alles, was auch nur im entferntesten eine Gefahr sein könnte, zu vertreiben versuchen oder sich gar nicht mehr aus dem Haus trauen. So oder so: Der „unerzogene“ Hund ist eigentlich ein von seinen Menschen im Stich gelassener Hund, der für seine Sicherheit und die der ganzen Familie meint sorgen zu müssen. Er hat niemanden, der ihm versichern kann, dass weder der Nachbarshund, mit dem man sich sein Revier teilen muss, noch das furchtbar laute Motorrad, das an einem vorbei rast, eine Gefahr sind. Er muss diese menschlichen Phänomene beurteilen und darüber entscheiden, wie damit umzugehen ist.
Ist der Hund durch seine Fehleinschätzungen erst einmal zum sogenannten „Problemhund“ geworden, wird er zu allen möglichen Aktivitäten nicht mehr mitgenommen. In besonders schlimmen Fällen trauen sich die Menschen nur noch nachts oder einfach gar nicht mehr mit ihrem Hund aus dem Haus oder heimischen Garten. Damit verliert der Hund sogar seine Gassigänge.
Und wenn wir weiter denken, dann müssen wir feststellen: Wenn sich Probleme häufen, dann sinkt die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft und es hagelt mit Verboten weitere Einschränkungen für Hunde.
Ist das Freiheit?
Um das noch mal deutlich zu sagen: Ein jeder Hundehalter und eine jede Hundehalterin ist dafür verantwortlich, dass der eigene Hund sicher ist und das jeder vor dem eigenen Hund sicher ist! Und das erreicht man eben nur, wenn der Hund kontrollierbar ist.
Beschäftigung für Kopf und Körper
Hundetraining hat also mit Nichten Nachteile für den Hund, wenn seine Menschen wachsam und informiert in Bezug auf die Methode sind. Das Training nimmt ihm viel Last ab und sorgt für Sicherheit. Wir zeigen unserem Hund durch das Training, dass wir sowohl fähig als auch willens sind, für ihn zu sorgen. Und dafür müssen wir ihm Zeit mit uns und damit Aufmerksamkeit schenken. Wir geben ihm zudem im Training viele Gelegenheiten, sich Lob von uns zu holen, was einfach ein schönes Gefühl für ihn ist und sein Selbstbewusstsein stärkt. Sowohl kluge Hunde als auch solche mit hohem Willen zu gefallen („will-to-please“ ist vielen angezüchtet) brauchen diese Form von Beschäftigung, weil sie ein Bedürfnis nach Abwechslung, nach Lernen und nach dem Miteinander mit ihren Menschen haben. Zudem setzt Training voraus, dass die Grundbedürfnisse des Hundes erfüllt worden sind. Niemand kann konzentriert lernen, wenn er voller ungenutzter Energie und Bewegungsdrang steckt. Menschen, die einen gut trainierten Hund anstreben, müssen ihrem Hund also Bewegung und Spiel bieten. Und Training und Spiel lassen sich wunderbar kombinieren.
Für manche Menschen und Hunde ist die Sache mit dem Training mehr eine lästige Pflicht und wenn die Grundkommandos und das Abrufen funktionieren, haben sie schon viel geschafft. Es gibt aber auch sowohl Hunde als auch Menschen, für die ist Hundetraining ein Spaßfaktor. In jedem Fall setzt Hundetraining aber eines voraus: Der Mensch muss sich mit dem Thema Hund auseinandersetzen.
Die Beziehung zwischen Mensch und Hund
Eigentlich steht über die Vorteile für die Beziehung zwischen Mensch und Hund im vorherigen Punkt schon einiges drin. Aber um das noch mal zu verdeutlichen: Für ein erfolgreiches Hundetraining muss ich als Mensch mich mit den grundlegenden Bedürfnissen meines Hundes auseinandersetzen. Ich muss ihm das Maß an Bewegung und Ruhe geben, dass er ganz individuell benötigt, weil er sich sonst nicht konzentrieren kann. Indem ich das tue, zeige ich ihm bereits, dass mir sein Wohlergehen wichtig ist.
Um zu erkennen, welche Trainingsmethoden für meinen Hund im Speziellen am besten Funktionieren, muss ich unter Umständen einiges Ausprobieren und seine Reaktionen darauf beobachten. Kurzum: Ich muss mich um eine erfolgreiche Kommunikation bemühen und sowohl mich verständlich machen, als auch die Körpersprache meines Hundes lernen. Natürlich ist das ein riesen Zugewinn für die Beziehung. Und zu guter Letzt muss für das Training Zeit miteinander verbracht werden und der Spaß darf dabei nicht zu kurz kommen.
Menschen, die mit ihren Hunden trainieren, tun also sehr viel für ihre Beziehung und bekommen auch entsprechend viel von ihren Hunden zurück.
Fazit
Ein gut erzogener oder trainierter Hund bedeutet: Seine Menschen haben sich mit ihm, mit seinen Bedürfnissen und der Kommunikation mit ihm auseinandergesetzt. Sie kommen seinen Bedürfnissen nach, bieten ihm Sicherheit, nehmen ihm die Last der Verantwortung ab, können ihn überall hin mitnehmen, wo Hunde erlaubt sind und können so viel Zeit mit ihm verbringen und Abwechslung bieten.
Hundetraining muss den Hund in den Mittelpunkt stellen und darf ihm nicht schaden. Viele moderne Methoden und Ansätze tun genau das und haben für Hund und Mensch nur Vorteile.
Und noch mal zum Beispiel am Anfang:
Ein auf seinen Menschen fixierter Hund hat nicht Angst davor, ohne Erlaubnis mehr zu tun als zu atmen, und er hat auch nicht seine Persönlichkeit abgegeben. Er befindet sich in einer Situation, die entweder er selbst nicht richtig einschätzen kann, weshalb er sich bei seinem Menschen rückversichern will. Oder er befindet sich in einer Situation, in der sein Mensch zu seiner Sicherheit und der anderer gerade Gehorsam einfordert. In beiden Fällen verlässt sich der Hund auf seinen Menschen und hat dadurch selbst keinen oder verminderten Stress.
Wer aber ernsthaft glaubt, Hunde würden durch Erziehung nur noch pausenlos ihre Menschen anstarren und auf Kommandos warten, der hat zu viel Fantasie.
Selbst Service-Hunde wie Blindenführhunde bekommen unbedingt ihre Pausen und deutliche Aufhebungskommandos, die ihnen signalisieren, dass sie gerade machen können, was sie wollen. Kein Hund, egal wie gut er erzogen ist, wartet permanent auf Kommandos.
Oder wie seht ihr das? Was sind eure Argumente für oder gegen Hundetraining? Oder habt ihr interessante Erfahrungen mit Befürwortern und Verweigerern gemacht? Schreibt es gerne in die Kommentare!
