Vier Gründe, warum manche Hunde nicht allein bleiben können
Herzzerreißendes Jaulen, nervtötendes Dauergebell oder teures Schreddern der Wohnungseinrichtung – viele Hunde zeigen sehr deutlich, was sie davon halten, wenn sie allein gelassen werden. Es ist ein schwerwiegendes Problem, weil es viele Situationen gibt, in denen wir Hunde nicht mitnehmen können. Für die meisten ist die Arbeit ein absolut unumgänglicher Grund, den Hund allein zu Hause zu lassen. Wenn der aber das Alleinbleiben nicht kann, dann leidet der Hund. Und je nachdem, wie er mit seinem Leid umgeht, belastet das zusätzlich die Nachbarschaft und führt zu Beschwerden oder er verursacht Schäden, die sowohl Geld als auch das heimische Wohlgefühl kosten.
Oft endet das Drama dann für den Hund im Tierheim. Die Nachbarn haben dann wieder Ruhe, die Möbel bleiben ganz und die ehemaligen Hundehalter sowie Halterinnen sind die Belastung los.
Für den Hund ist das allerdings eine mehr als bescheidene Lösung. Zumal er als Kann-nicht-allein-bleiben-Hund schlechtere Vermittlungschancen hat. Besser ist es, das Problem mit Training anzugehen – auch wenn das Alleinbleiben zu üben, nachdem es zu einem Problem geworden ist, dauern kann.
Für ein besseres Verständnis für den eigenen Hund und die richtige Trainingsmethode steht zuallererst die entscheidende Frage im Vordergrund: Warum kann der Hund nicht allein bleiben?
Es gibt dafür nämlich mehr als einen Grund und manchmal ist es sogar eine Kombination aus diesen Gründen. Klar: Ist es ein Problem, so ist es ganz offensichtlich nicht mit dem Hund geübt worden, bevor (!) er zum ersten Mal allein gelassen worden ist. Dabei ist dieses ganze Konzept von „Alle gehen weg, nur du bleibst allein zu Hause“ für den Hund völlig unnatürlich und ergibt keinen Sinn. Trotzdem gibt es Hunde, die allein bleiben können, obwohl es mit ihnen nie gezielt trainiert worden ist. Warum? Weil neben einer gewissen Veranlagung in ihrem Charakter wohl keiner der folgenden Gründe vorliegt, die aber jeder spätestens dann kennen sollte, wenn der eigene Hund nicht allein bleiben kann.
1. Grund: Angst vor dem Alleinbleiben und Trennungsangst
Die Angst des Hundes um sich selbst ist der am häufigsten angenommene Grund. Paradoxerweise ist es gleichzeitig der wohl seltenste wirkliche Grund, warum ein Hund nicht allein gelassen werden kann.
Wir Menschen sind genau wie unsere Hunde soziale und zur Empathie fähige Lebewesen. Wir begreifen, dass unsere Hunde leiden und Stress haben, wenn sie extremes Verhalten zeigen, nur weil wir weggegangen sind. Vielleicht haben wir auch die Vorstellung im Kopf, dass Rudel immer zusammenbleiben. Und wir kennen das Gefühl von Sehnsucht. Außerdem sind viele Hunde ängstlich, brauchen den ständigen Rückhalt ihrer Menschen und viele Menschen haben ihrerseits Ängste und erkennen sich auf emotionaler Ebene in unsicheren Hunden wieder.
Ja, es gibt Hunde, die haben Angst, wenn ihre Menschen weggehen. Sie fürchten sich, dass ihre Menschen vielleicht nicht wieder kommen. Das kann zum Beispiel von dem Trauma herrühren, so etwas schon einmal erlebt zu haben, weil der Hund ausgesetzt oder in der Wohnung zurückgelassen worden ist (was leider kein Mythos ist, sondern wirklich passiert). Eine Katastrophe für eher unsichere, sensible Hunde, die ihre Menschen als ihren Fels brauchen. Diese Tiere haben Angst um sich selbst, wenn ihre Menschen nicht da sind.
Aber dies ist trotzdem ein eher seltener Grund im Vergleich dazu, wie häufig das Problem ist und wie oft es auf etwas zurückzuführen ist, das in den nachfolgenden Abschnitten steht. Das ist übrigens auch gut so, denn echte Trennungsangst, die aus der Angst um sich selbst heraus entsteht, ist deutlich schwieriger zu trainieren als andere Ursachen. Manchmal ist sie sogar nie ganz wegzubekommen.
2. Grund: Angst um die anderen und Kontrollverlust
Der Kontrollverlust ist einer der häufigsten Gründe für die Problematik und nebenbei auch für viele andere Dinge, die zwischen Mensch und Hund schieflaufen. Und das liegt vor allem daran, dass wir hier die Perspektive des Hundes nicht sehen und sein Verhalten fehldeuten. Ein Hund, der seinen Menschen überall hin verfolgt, es nicht einmal vor einer verschlossenen Badezimmertür aushält, der ist doch so voller Liebe zu seinem Menschen, dass er keine Sekunde ohne ihn sein kann… oder? In den aller-aller-meisten Fällen ist das Quatsch.
Irgendwie könnte man es schon als Liebe bezeichnen, was dem zugrunde liegt. Aber es ist trotzdem anders, als wir in der Regel denken. Denn der Hund glaubt nicht, dass er nicht ohne uns klarkommt, sondern dass wir nicht ohne ihn klarkommen! Viele Hunde haben das Problem absolut davon überzeugt zu sein, dass sie wie ein Elternteil verantwortlich für ihre Menschen sind. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Hunde zwischen kindlichen und erwachsenen Menschen unterscheiden können. Trotzdem glauben viele Hunde, ihre Menschen hätten den Reifegrad eines Babys – mit viel Glück vielleicht noch den eines Kleinkindes. Das ist dann aber auch das Maximum, was sie ihren Menschen zutrauen. Und so glauben sie, uns vor uns selbst beschützen zu müssen.
Das ist ein wirklich häufiges Phänomen und liegt vor allem daran, dass unsere Hunde unsere Art, mit ihnen umzugehen, falsch verstehen. Wir nehmen sehr oft große Rücksicht auf unsere Hunde, weil wir sie lieben und weil sie von uns abhängig sind. Die Hunde aber sehen nur, wie sie ständig im Alltag die Entscheidungen treffen und glauben deshalb, dass wir dazu nicht in der Lage seien und uns auf sie verlassen würden.
Jedes Mal, wenn wir mir dem Hund zu spielen beginnen, weil er mit dem Ball angekommen ist, hat der Hund entschieden, dass jetzt Spielzeit ist. Jedes Mal, wenn wir so lange mit dem Hund spielen, bis er nicht mehr kann oder anfängt, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, hat er über das Spielende entschieden. Gleiches gilt, wenn wir füttern, weil er mit seinem super Zeitgefühl uns mit geräuschvollem Napfgeschiebe auf die Essenszeit aufmerksam gemacht hat. Oder wenn wir den vollen Napf hastig hinstellen, weil er uns auffordernd anbellt. Beim Spazierengehen lassen wir den Hund die Richtung und das Tempo vorgeben, während wir uns von ihm durch die Gegend ziehen lassen (es liegt nur an unserem Unvermögen, dass wir bei der Geschwindigkeit nicht hinterherkommen und er uns deshalb so ziehen muss). Und wenn wir stehen bleiben, damit er in Ruhe schnüffeln und markieren kann, ist auch er es, der diese wichtigen Aufgaben managt.
Der Hund hat keine Ahnung von Geld und allem, was damit zusammenhängt. Er weiß nicht, dass seine Menschen etwas dafür tun, dass er und der Rest der Familie ein Zuhause und Nahrung haben. Er weiß nicht, dass Menschen arbeiten gehen und dass Hunde in Supermärkten verboten sind. Er weiß aber, dass, wenn er aus seiner Sicht alle wichtigen Fragen des Alltags beantwortet und ständig alles regelt, er das Verantwortung tragende Elternteil der Familie ist und alle anderen, obgleich sie erwachsen sind oder nicht, seiner Obhut bedürfen.
Wenn wir aus Hundesicht so eine Beziehung zueinander haben, dann ist unser Verlassen der Wohnung, mit einem Baby zu vergleichen, das aus der Tür krabbelt und sie so hinter sich zuzieht, dass Mami und Papi nicht hinterherkommen. Und dann ist das Kleine da draußen auf sich allein gestellt und der Hund kann nichts machen außer danach rufen (Jaulen und Bellen) oder seine enorme Angst um das hilflose Menschlein in verzweifelte Zerstörung umzulenken.
Diese Hunde leiden ganz furchtbar vor der Angst um uns!
Das Gute ist: Wir können ihnen durch Training nach und nach beweisen, dass wir doch in der Lage sind, auf uns selbst aufzupassen und darüber hinaus, dass die Rollen eigentlich sogar genau andersrum verteilt sind, sprich: wir für sie verantwortlich sind. Wenn wir das schaffen, stehen dem einst sehr gestressten Hunde deutlich entspanntere Zeiten bevor! Er wird die Kompetenzen seiner Menschen allerdings immer wieder auf die Probe stellen. 😉
3. Grund: Unterforderung und Langeweile
Das ist ebenfalls ein sehr häufiger Grund, der meist daraus resultiert, dass die Bedürfnisse des Hundes unterschätzt werden. Wir machen gerade Langeweile oft klein. Aber wir müssen uns vor Augen führen: Wenn sich erwachsene Menschen langweilen, überlegen sie so lange, was sie tun könnten, bis ihnen etwas einfällt und dann tun sie das einfach. Sie haben die Macht, ihrer Langeweile ein Ende zu bereiten. Nur wenn sie von anderen zum Warten gezwungen werden, zum Beispiel am Bahnsteig oder im Wartezimmer einer Arztpraxis, müssen auch sie die Langeweile aushalten. Um sich den Leidensdruck zu verdeutlichen, reicht es, sich vorzustellen, stundenlang ohne Smartphone und andere Beschäftigungsmöglichkeiten im Wartezimmer ausharren zu müssen.
Kleine Kinder und Haustiere kennen dieses Gefühl, weil sie beim Beenden ihrer Langeweile von ihren Erwachsenen, beziehungsweise von ihren Menschen, abhängig sind. Sie haben nämlich nicht die Option, einfach zu machen, was ihnen einfällt – egal, wie lange sie überlegen.
Hunde können sich nicht selbst Gassi führen, sie können sich ihren Ball nicht selbst werfen (manche versuchen es, aber wir wissen alle, dass es nicht dasselbe ist), sie können sich den Futterbeutel nicht selbst verstecken oder neue Tricks für Leckerlies beibringen. Sie können nur daliegen, durch die Wohnung stromern und hoffen, dass wir uns endlich mit ihnen beschäftigen. Vielleicht haben sie Glück und ein anderer Hund oder eine wohlmeinende Katze ist zum Raufen da. Aber selbst das ist nicht abwechslungsreich und innerhalb der Wohnung des Platzmangels wegen auch nicht immer das Gelbe vom Ei.
Wenn wir unsere Hunde nicht beschäftigen, dann sitzen sie jeden Tag die ganze Zeit im Wartezimmer und es gibt kein Entkommen für sie! Aber wenn wir die Wohnung verlassen, dann wird für einige der Reiz, doch mal dieser schrecklichen Langeweile zu entfliehen und die ganze, aufgestaute Energie in sich rauszulassen, zu groß. Sie wissen zwar, was sie nicht dürfen, aber wir sind nicht da, um zu schimpfen. Später sind wir das, ja, aber jetzt, gerade jetzt, sind da nur wahnsinnig viel Tatkraft und Frust und die wollen mit aller Macht raus!
Bevor in diesem Fall irgendwas vom Hund verlangt werden kann, müssen erst seine Bedürfnisse erfüllt werden. Auslastung vor Training.
Dieser Grund kann im Übrigen mit dem vorherigen zusammenfallen. Daher ist es immer gut, wenn die Auslastung nicht nur durch viel Bewegung und Denkaufgaben erfolgt, sondern auch Strukturen hat, die der Mensch vorgibt. Dann ermöglicht er dem Hund nicht nur Bewegung und Spaß, sondern gibt auch das „Wie“ vor. So wird der Mensch zu einem wichtigen Faktor, um Spaß zu haben, und zeigt dem Hund gleichzeitig, dass die Fellnase die Verantwortung abgeben kann. Funktioniert aber nur, wenn der Mensch die Rolle des verantwortlichen Entscheidungsträgers von nun an immer ausfüllt.
4. Grund: Gewohnheit
Manche Hunde haben das Glück, nie allein bleiben zu müssen. Und weil der Mensch in der Regel ein eher bequemes Wesen ist, wird das, was nicht notwendig ist, meistens auch nicht trainiert. Bleibt es das ganze Hundeleben lang so, ist alles gut. Leider ist das aber nicht immer der Fall.
Für die sogenannten Corona-Hunde ist es sogar so blöd gelaufen, dass ihre Menschen nicht nur zu bequem für das vermeintlich unnötige Training gewesen sind, sondern es auch irgendwie versäumt haben, zu bedenken, dass ein Hund sehr wahrscheinlich länger lebt, als die Dauer der Maßnahmen zu erwarten war, die so vielen ihr Homeoffice ermöglicht hatten. Vielleicht dachten sie auch, ihre Arbeitgeber würden dauerhaft zu der Überzeugung kommen, sie im Homeoffice zu lassen. Ist aber leider vielmals nicht so gekommen und die Tierheime sind von jungen Kann-nicht-allein-bleiben-Hunden im besten „Sturm und Drang“-Alter geflutet worden.
Ein Phänomen, welches in den letzten Jahren massiv aufgetreten ist, aber eigentlich nichts Neues ist. Lebensverhältnisse können sich jederzeit und für jeden ändern. Jobverlust oder -wechsel, neue Mieterbedingungen, die Rückkehr aus dem Homeoffice, eine Trennung oder finanzielle Not, wegen der Hausfrau oder Hausmann nun doch arbeiten gehen muss. Manchmal kündigt sich so etwas an, manchmal passiert es recht schnell.
Ein Hund, der noch nie allein bleiben musste, soll es dann auf ein Mal doch tun. Nun braucht es dafür eigentlich wochenlanges Training, bei manchen Hunden auch länger. Wenn seine Menschen das jetzt zeitlich oder emotional nicht leisten können, haben sie entweder sehr viel Glück mit dem Charakter des Hundes, oder – und das ist die Regel – es wird nicht funktionieren.
Hier hilft es nur, Zeit und Nerven in ganz normales Alleinbleiben-Training zu investieren, bei dem der Hund in kleinen, aber dafür häufigen Schritten daran gewöhnt wird, dass es normal ist, wenn seine Menschen ohne ihn gehen, aber auch gewiss, dass sie jedes Mal zurückkommen.
Zu guter Letzt: Alleinbleiben-Training kann dauern, ist aber definitiv die bessere Alternative zum Tierheim. Ist das Problem für die Nachbarn unüberhörbar, kann es helfen, ihnen mitzuteilen, dass bereits daran trainiert wird, damit sie Geduld und Verständnis haben. Die meisten Menschen wollen in so einer Situation einfach nur wissen, dass auch ihr Leiden gesehen wird, der Nachbar oder die Nachbarin mit Hund Rücksicht nehmen will, das aber nicht auf Knopfdruck geht und dennoch ein Ende des Problems in Sicht ist.
