Abstammung, Herkunft und Domestikation des Haushundes
Inhalt
Was ist eigentlich der Hund?
Der Hund, das Haustier – der Haushund. „Hund“ und „Haushund“ sind Synonyme, weil es keine wilde Form unserer Haushunde gibt. Ja, es gibt Wildhundarten und Wolfsarten, aber die sind „nur“ mit dem Haushund verwandt und nicht die gleiche Tierart.
Der lateinische Name des Hundes verrät es bereits: Canis lupus familiaris. Es lässt sich ebenfalls finden: Canis domesticus.
Die Übersetzungen im Einzelnen:
Canis = Hund
Lupus = Wolf
Familiaris = freundschaftlich, vertraut, zur Familie (/zum Haus) gehörig
Domestikus = privat, persönlich, eigen, zum Haus (/zur Familia) gehörig
Der lateinische Name des Wolfes lautet übrigens nicht nur „lupus“, sondern „canis lupus“.
Und das heißt jetzt genau was?
Der Hund ist die domestizierte Form des Wolfes. Die Domestikation ist die Entwicklung einer wilden Tierart hin zum Haustier. Dies erfolgt über mehrere Generationen und unter menschlichem Einfluss. Ob die Tiere wirklich in einem Haus leben, ist dabei unerheblich. Bedeutend ist dagegen, wie weit die Haustierform von der Wildtierform genetisch isoliert ist. Selbst die verwilderten Dingos zählen (bisher) biologisch zu den Haushunden. Neuste Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass sie auch vom Haushund genetisch weiter entfernt sind, als bisher angenommen. Aber der Streuner in dritter Generation, selbst wenn er im Wald lebt, ist definitiv noch immer ein Haushund.
Übrigens gibt es die Domestikation auch bei Pflanzen. Und es gab ein sehr interessantes Experiment zur Domestikation mit Füchsen in Sibirien.
Stammt der Hund wirklich vom Wolf ab?
Ich weiß nicht, seit wie vielen Generationen wir Menschen uns gegenseitig schon voller Überzeugung erzählen, dass der Hund vom Wolf stammt. Und wenn wir raten müssten, wo der Wolf zum Hund wurde, was würden wir dann vermuten? Europa? Asien? Oder vielleicht sogar Afrika?
Tatsächlich wird bis heute nach dem Von-wem, Wo und Wann geforscht.
Konrad Lorenz vermutete in seinem Buch „So kam der Mensch auf den Hund“ 1965, dass manche Hunde vom Wolf und manche vom Goldschakal abstammen. Der Verhaltensforscher machte dies vor allem am unterschiedlichen Sozialverhalten bestimmter Rassen fest.
Zitat
„Die Anhänglichkeit eines Hundes entstammt zwei voneinander grundsätzlich verschiedenen, triebmäßigen Quellen. Größtenteils ist sie, vor allem bei unseren europäischen Rassen, Folge jener Bindungen, die den jungen Wildhund an das Elterntier fesseln, die aber beim Haustier als Teilerscheinung einer allgemeinen Verjugendlichung dauernd erhalten bleibe. Die andere Wurzel der Anhänglichkeit liegt in der Gefolgschaftstreue, mit welcher der Wildhund an der Person des Rudelleiters hängt, aber auch in der persönlichen Liebe, welche die Rudelgenossen untereinander verbindet.
Diese zweite Wurzel ist bei allen wolfsblütigen Hunden stärker als bei den Schakal-Abkömmlingen, da im Leben des Wolfes der Zusammenhalt des Rudels eine bedeutend größere Rolle spielt.“
(Quelle: Lorenz, „So kam der Mensch auf den Hund“, colealeman.de, Details siehe unten.)
Mit der Beobachtung, dass manche Rassen eine enge Bindung zu nur einer Person aufbauen, während die meisten Rassen da emotional deutlich unabhängiger sind, hatte Lorenz recht. Mit dem Goldschakal scheint er sich hingegen geirrt haben.
1997 ergaben genetische Untersuchungen, dass der Haushund tatsächlich vom Wolf abstammt. Außerdem legten die Ergebnisse nahe, dass es mehrfach zu Vermischungen zwischen Hund und Wolf gekommen sein könnte. Ein weiteres Resultat: Die Domestikation könnte 100.000 Jahre zurückliegen.
Zitat
„Mitochondrial DNA control region sequences were analyzed from 162 wolves at 27 localities wordlwide and from 140 domestic dogs representing 67 bressds. Sequences from both dogs and wolves showed cinsiderable diversity and supported the hypothesis that wolves were the ancestors of dogs.“
(Quelle: Vilà et al., Multiple and Ancient Origins of the Domestic Dog“, PubMed.gov, Details siehe unten.)
Wo wurde der Wolf zum Hund?
Die Abstammung vom Wolf scheint also inzwischen bewiesen zu sein. Aber wo haben sich die ersten Wölfe mit den Menschen zusammen getan? Wo fand die Domestikation des wilden Raubtiers zum zahmen Freund statt? Der Antwort darauf geht die Frage voraus, von welchem Wolf der Hund abstammt.
Die Theorie besagt, dass die Herkunft einer Art dort liegt, wo ihre größte Vielfalt zu finden sei – im Zitat oben als „cinsiderable diversity“ (beträchtliche Diversität) genannt. So wird unser Ursprung, die sogenannte „Wiege der Menschheit“, in Afrika vermutet. Von dieser Theorie ausgehend machten sich Forscher und Forscherinnen immer wieder auf die Suche nach der Herkunft des Hundes. Die Gene von Wölfen aus aller Welt wurden mit Hunden aus aller Welt verglichen – von lebenden Tieren und von fossilen Überresten.
Und immer scheinen neue Ergebnisse die alten Studien zu verwerfen. So wanderte die Herkunft von Europa nach Ostasien, dann in den Nahen Osten, dann doch wieder nach Asien, aber diesmal Zentralasien … oder doch wieder Europa?
Nur einige Beispiele:
Eine Studie von 2009, bei der die mitochondriale DNA von 169 Hunden und die Kontrollregion (Sequenzabschnitte im Genom) von 1.543 Hunden aus der ganzen Welt untersucht worden sind, kam zu dem Schluss, dass die Domestikation des Hunds im Süden Chinas stattgefunden habe.
„These results indicate that the domestic dog originated in southern China less than 16,300 ya, from several houndred wolves.“
(Quelle: Pang et al., mtDNA Data Indicate a Single Origin for Dogs South of Yangtze River, Less Than 16,300 Years Ago, from Numerous Wolves, academic.oup.com, Details siehe unten.)
2011 wurden die Y-Chromosomen von 151 Hunden weltweit analysiert und man kam zum Ergebnis, dass die größte Diversität in Ostasien zu finden sei. (Quelle: Ding et al., Origins of domestic dog in Southern East Asia is supported by analysis of Y-chromosome DNA, PubMed.gov, Details siehe unten.)
2013 brachte das Forscherteam um Olaf Thalmann dann Europa ins Spiel.
„We analyzed the mitochondrial genomes of 18 prehistoric canids from Eurasia and the New World, along with a comprehensive panel of modern dogs and wolves. The mitochondrial genomes of all modern dogs are phylogenetically most closely related to either ancient or modern canids of Europe.“
(Quelle: Thalmann et al., Complete mitochondrial genomes of ancient canids suggest a European origin of domestic dogs, PubMed.gov, Details siehe unten.)
2014 nahm sich ein Forschungsteam alle drei favorisierten Herkunfts-Gegenden vor. Sie untersuchten die Gene dreier Grauwölfe aus den Erdteilen Europa, Ostasien und Naher Osten. Außerdem nahmen sie Basenji, Dingo und Goldschakal in ihre Untersuchung mit auf. Ihre Ergebnisse: Die Verwandtschaft zwischen den Wölfen und den Hunden war äußerst gering. Untereinander waren die Wölfe allerdings deutlich näher verwandt. Zwei Gründe machten sie dafür aus: Entweder entstammen die Hunde einer ausgestorbenen Wolfsart, oder sowohl Haushund als auch Wolf haben einen gemeinsamen, ebenfalls inzwischen ausgestorbenen, Urahn.
Die Frage nach dem geografischen Ursprung des Haushundes bliebt damit ungeklärt. Dafür hielten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine mehrfache Domestikation an verschiedenen Orten für sehr gut möglich. (Quelle: Freedman et al., Genome Sequencing Highlights the Dynamic Early History of Dogs, journals.plos.org, Details siehe unten.)
Der neuste Stand der Dinge
Die neusten Erkenntnisse stammen aus dem Jahr 2022. Diesmal wurden 72 Wolfsgenome aus einer Zeitspanne von 100.000 Jahren aus Europa, Sibirien und Nordamerika untersucht. Die engste Verwandtschaft fanden die Forschenden nun zwischen Hund und Ost-Eurasischem Wolf. Ostasien ist also als Ursprung wieder im Spiel. Die Übereinstimmungen mit West-Eurasischen Wölfen über den Nahen Osten bis nach Afrika und die dort vorhandene hohe Diversität ist aber ebenfalls zu groß, um keine Rolle zu spielen.
Dazu gibt es zwei mögliche Interpretationen: Entweder erfolgte die Domestikation in Ostasien und es folgte eine schnelle Ausbreitung des Haushundes über den Nahen Osten bis nach Afrika, oder es gab mindestens zwei voneinander unabhängige Domestikationsprozesse. (Quelle: Bergström et al., Grey wolf genomic history reveals a dual ancestry of dogs, nature.com, Details siehe unten.)
In dem Fall wäre es also wie schon 2014 vermutet kein einmaliges Phänomen gewesen, dass Mensch und Wolf zusammen gefunden haben und unsere Haushunde würden von mehr als einer Wolfsart abstammen. Und das erklärt dann auch wieder irgendwie die unterschiedlichen Ergebnisse der ganzen anderen Studien.
Wann fanden Mensch und Hund zusammen?
So ziemlich jede hier bereits erwähnte Literatur hat zum wann und wie eine Theorie und – Überraschung! – ganz sicher kann sich keiner sein. Kam der hungrige Wolf eines Tages ganz demütig zum Menschen und biederte sich für etwas Fleisch als Freund an? Oder begann der Mensch den Wolf, dem er immer wieder bei oder nach der Jagd begegnete, anzufüttern? Vielleicht sind auch Jungtiere der Ursprung gewesen?
Es ist ja auch schon ein bisschen was her, Schrift gab es damals noch nicht und somit kann darüber anhand des menschlichen und des wölfischen Sozialverhaltens nur spekuliert werden.
Für das Wann sind erneut die einzigen Anhaltspunkte fossile Funde von Knochen und Zähnen und die genetischen Veränderungen der Tiere, vor allem im Vergleich von Wild- und Hausform.
Die Studie von 1997 macht mit 100.000 Jahren den größten Sprung in die Vergangenheit.
In der Veröffentlichung von 2013 steht, dass die Herkunft auch zeitlich umstritten sei, da bisherige Analysen genetischer Proben sowohl auf vor 15.000 Jahren, als auch auf mehr als 30.000 Jahre zurück datiert werden konnten. Die Studie selbst geht von einem Zeitraum von 18.800 bis 32.100 Jahren aus.
Wörtlich heißt es darin:
„The geographic and temporal origins of the domestic dog remain controversial, as genetic data suggest a domestication process in East Asia beginning 15,000 years ago, whereas the oldest doglike fossils are found in Europe and Siberia and date to >30,000 years ago. (…) Molecular dating suggests an onset of domestication there 18,800 to 32,100 years ago.„
(Quelle: Thalmann et al., PubMed.gov, Details s. u..)
Im darauffolgenden Jahr ließ die Verdauung der Tiere den Schluss zu, dass sie auf jeden Fall schon vor der Sesshaftigkeit des Menschen zu ihm gestoßen seien. Warum? Weil Zahnfunde von Caniden wohl zeigten, dass die ursprünglichen Haushunde genau wie Wölfe deutlich schlechter Getreide-Stärke verdauen konnten, als es heutige Hunde können. Die Tiere ernährten sich damit auch an der Seite des Menschen immer noch hauptsächlich von Fleisch. Und das wiederum soll auf die Zeit der Jäger und Sammler hinweisen.
Was also wissen wir sicher?
Sicher wissen wir nix. Das gilt aber für alle Wissenschaften und damit allgemein für alles. Aber bevor ich jetzt philosophisch werde: Machen wir an dieser Stelle das, was wir eigentlich immer machen – wir verwandeln „sehr sehr wahrscheinlich“ in „ist so“ um und dann wissen wir Folgendes:
Der Hund stammt vom Wolf und nur vom Wolf ab. Auf jeden Fall liegt sein Ursprung in Asien. Seine Domestikation liegt mindestens 15.000 Jahre zurück. Und der erste gemeinsame Nenner zwischen Mensch und Wolf ist die Jagd gewesen.
Was Stand jetzt außerdem möglich scheint: Der Hund stammt nicht nur vom asiatischen Wolf ab. Seine Domestikation könnte an mehreren Orten zu unterschiedlichen Zeiten stattgefunden haben. Ein gemeinsamer, bereits ausgestorbener Urahn von Hund und Wolf ist allerdings auch nicht ausgeschlossen.

Quellen
Hinweis: Nutzung externer Links auf eigene Gefahr.
Konrad Lorenz, So kam der Mensch auf den Hund, Ungekürzte Ausgabe, 1. Auflage November 1965, 1983 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co.KG, München, S.23. Link: https://colealeman.de/unterricht%2010%20ch_htm_files/so_kam_der_mensch.pdf
Carles Vilà et al. (University of California, Los Angeles, USA. ), Multiple and Ancient Origins of the Domestic Dog, 13. Juni 1997, Science, Band 276, Ausgabe 5319, S. 1687-1689. Links: https://www.science.org/doi/10.1126/science.276.5319.1687 , https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9180076/
Jun-Feng Pang et al. (Chinesische Akademie der Wissenschaften, Kunming, China.), mtDNA Data Indicate a Single Origin for Dogs South of Yangtze River, Less Than 16,300 Years Ago, from Numerous Wolves, 01. September 2009, Molecular Biology and Evolution, Band 26, Ausgabe 12, Dezember 2009, Seiten 2849–2864. Link: https://academic.oup.com/mbe/article/26/12/2849/1536110
Z-L Ding et al. (Universität Yunnan, Kunming, China. ), Origins of domestic dog in Southern East Asia is supported by analysis of Y-chromosome DNA, 23. November 2011, Mai 2012, Heredity 108, 507–514 (2012). Links: https://www.nature.com/articles/hdy2011114 , https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22108628/
O. Thalmann et al. (Universität Turku, Turku, Finnland), Complete mitochondrial genomes of ancient canids suggest a European origin of domestic dogs, 15. November 2013, Science, Band 342, Ausgabe 6160, S. 871-874. Links: https://www.science.org/doi/10.1126/science.1243650 , https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24233726/
Adam H. Freedman et al., Genome Sequencing Highlights the Dynamic Early History of Dogs, 16.01.2014, PLOS Genetics, Herausgeber Leif Andersson, Universität Uppsala, Schweden. Link: https://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1004016
Anders Bergström et al. (Francis-Crick-Institut, London), Grey wolf genomic history reveals a dual ancestry of dogs, 29. Juni 2022, Nature 607, S. 313-320. Link: https://www.nature.com/articles/s41586-022-04824-9